von Kerstin Mayrberger | 20 Jul 2020 | Vernetzung
Partizipative Mediendidaktik als Ankerpunkt der zweiten Podcastfolge von „Domain it Yourself“.
Das Konzept Domain of One’s Own (DoOO) ist in Deutschland immer noch wenig bekannt und realisiert. Erste Eckpunkte haben Jane Brückner, Markus Deimann und Christian Friedrich 2017 sehr anschaulich im Zuge eines Überblicksbeitrags zu DoOO für das Hochschulforum Digitalisierung zusammengefasst.
Und nun gibt es einen eigenen Podcast „Domain it Yourself“, der von Katharina Schulze und Christian Friedrich mit Unterstützung durch die Hamburg Open Online University (HOOU@HAW) realisiert wird und unter der eigenen Domain https://domain-of-ones-own.de zu finden ist. Es lohnt sich allein schon den schönen, narrativen Einstieg über die Analogie zum Fisch im Aquarium zu lesen.
Im ersten Beitrag der Reihe beschreiben sie die Idee von DoOO. Im zweiten Beitrag geht es gleich an den normativen Kern hinter der Idee, nämlich Fragen der Gestaltungsmacht, die Studierenden in ihrem Studium durch Erhalt einer eigenen Domain eingeräumt wird, Verantwortung, die sie damit übernehmen und übergreifend um Fragen und kritischen Überlegungen zur Rolle von Partizipation, Ownership und Verantwortung im Lehr- und Lernprozess im Hochschulkontext.
Der zweite Podcast „Partizipation, Mediendidaktik und Domain of One’s Own“ ist nun verfügbar.
von Kerstin Mayrberger | 19 Jun 2020 | Praxis
Eine persönliche Reflexion zur Frage partizipativen Lehren und Lernens im Sommersemester 2020 – dem sogenannten Coronasemester: Partizipative Lehre … auch online!
Die Publikationen zur Partizipativen Mediendidaktik sind vor allem theoretischer und konzeptioneller Art. Deshalb werden auch einige, stärker praxisbezogene Beiträge mit Fokus auf Planung und Reflexion erscheinen. Dazu gehören auch vereinzelt solche Beiträge wie dieser hier, der meine eigene partizipative (Online-)Lehrpraxis (zugegeben in diesem Fall etwas ausführlicher) in sehr persönlicher Weise reflektieren.
Insofern folgen hier nun mit Blick auf das noch laufende Sommersemester 2020 praxisnahe Einblicke, wie Lernendenorientierung und Partizipation auch in besonderen Zeiten mit der Umsetzung als reine Online-Lehre gelingen kann.
#Coronasemester
Das Sommersemester 2020 ist auch für meine Lehre ein besonderes Semester. Denn wenngleich Themen wie Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Mediendidaktik oder Digitalisierung von Lehren und Lernen und Medienbildung bisher der Gegenstand der Lernangebote waren, so ergab sich bisher in den überwiegenden Präsenzveranstaltungen nicht die Möglichkeit, die verschiedenen partizipativen und studierendenorientierten Lehr- und Lernformen als Online-Format im großen Stile und über einen längeren Zeitraum zu erproben und zu reflektieren. Neben allen formalen und organisatorischen Herausforderungen zum Start, bot das #Coronasemester nun aus didaktischer Sicht eine Chance.
Didaktische Chance
Die bisher vereinzelt eingesetzten partizipativ konzipierten (Online-)Formate konnten nun im fortlaufenden Zusammenspiel mit den entsprechenden Online-Werkzeugen erprobt werden. Aus diesen Erfahrungen – soviel sei hier schon vorweg genommen – ergaben sich bereits bis jetzt schon neue Erkenntnisse, die für die kommenden Semester, die weiterhin durch viel Online-Lehre geprägt sein werden, helfen partizipative Online-Lehre weiter auszubauen und passend für die Studierenden zu gestalten.
Lehrkontext
In meiner eigenen Lehre in einem berufsbegleitenden Masterstudiengang Higher Education (MHE) war es quasi der Wechsel von einem Extrem in das andere. Von sehr hohen Präsenzanteilen über 2 bzw. 3 Blocktage am Stück vor Ort in Hamburg wechselnd in das andere orts- und überwiegend zeitunabhängige Extrem, das sich durch komplett virtuelle, asynchrone Lehre mit synchronen Treffen über ein Videokonferenzsystem (in diesen Fall Zoom) über mehrere Wochen gestreckt. So, wie derzeit überall auch.
Selbst weiter lernen
Nachdem das Begreifen der neuen Situation erfolgt war, stellte sich mir neben der Qualität der technischen Machbarkeit vor allem die Frage nach der didaktischen Qualität: Inwiefern könnte ich nun mit der voll virtuellen Lehre weiterhin meinen eigenen dididaktischen Ansprüchen gerecht werden? Ich hatte mich daher entschieden, so viel wie möglich an partizipativen Elementen auszuloten, um durch Nachfragen bei den Studierenden und eigenem Ausprobieren herauszufinden, inwiefern was unter den veränderten Bedingungen der Fernlehre in welcher Weise funktioniert. Dazu gehörte es für mich auch, mich in möglichst kurzer Zeit wieder stärker mit aktuelle verfügbaren Online-Werkzeugen auseinanderzusetzen – und vor allem hinsichtlich didaktisch sinnvoller Kolloborationstools auf Entdeckungsreise zu begeben.
Miteinander reden
Durch den verschobenen Semesterstart war etwas mehr Zeit. Hinzu kam die Setzung, dass niemand einen Nachteil erhalten sollte und das Semester diversitätsorientiert für die Lernenden gestaltet werden sollte.
Nachdem ich nun mit Blick auf die zeitliche Taktung überlegt habe, was aus Perspektive der Studierenden (in meinem Fall berufsbegleitend Studierende, die z.T. Familie haben, im Third Space tätig sind oder anders stark eingebunden und gefordert sind in diesem Semester) alternativ zu drei Blocktagen vor Ort und am Stück mitten im Semester gut passen könnte und zu keinem guten Schluss kam, kam ich auf die vermutlich nahe liegende Option: Ich frage einfach die Studierenden. Während ich also parallel bereits erste Inhalte (re-)konzipierte, ließ ich Anfang April eine Umfrage (mit dem terminplaner vom DFN kombiniert mit den Foren im verwendeten LMS OpenOLAT) in jedem der von mir betreuten (Teil-)Module laufen, welche Zeitfenster für die Studierenden passend wären. Es äußerten sich tatsächlich alle Personen und nahmen die Nachfrage gerne an und auf, um auch aufzuzeigen, wie ihre aktuelle Situation bis auf Weiteres aussähe. Deutlich wurde auch, dass ein großes Interesse daran bestand den Master nicht wegen all der anderen Verpflichtungen wegzuschieben, sondern ein gemeinsames Ermöglichen und Wollen als sehr passend aufgenommen wurde. Ein prägnantes Ergebnis war so auch, dass in diesem #Coronasemester alle synchronen Termine in allen Modulen auf den Abend ab/nach 19.30 Uhr gelegt wurden, weil sie sich so mit dem Alltag vereinbaren ließen.
Beziehungen schaffen
Die synchronen Termine über das Semester beliefen sich dennoch auf eine überschaubare Anzahl von 3-4 oder 5-6 je Modul – jede synchrone Sitzung mit angepasster und gemeinsam abgestimmter Dauer zwischen 60 bis 90 min und gar auch einmal 150 min bei Kolloquiumsformaten. Entsprechend war es mir wichtig zum Start auch immer einen Rahmen zu schaffen, so dass sich die Teilnehmenden in den wenigen synchronen Zeiten näher kennen lernten (optional konnten auch Tandems gebildet werden, doch wurde die Option nicht forciert) und so etwas wie eine virtuelle Lerngruppe entstehen konnte. Dafür habe ich mir zum Start jedes Mal einen anderen Einstieg überlegt, der Fragen zur persönlichen Situation integrierte oder einfach die aktuelle Tagesstimmung abfragte (mal nutzte ich dafür mentimeter, mal die Zoom-integrierte Umfrage, mal die Zielscheibe bei oncoo oder mal einfach Post-its zum Ver-/Aufdecken der Kamera). Diese Mischung aus Verbindung von Privatem und Lernen ermöglichte einen Einstieg, der die Studierenden erst einmal in das Zentrum stellte – bisweilen nahmen wir uns dafür auch etwas länger Zeit.
Dialogräume bereitstellen
Es wurde sehr bald deutlich, dass die synchronen Phasen vor allem für den Austausch der Studierenden untereinander bevorzugt wurden. So wurde auch angemerkt, dass wenn ich mal auf Breakoutrooms verzichtete, diese gefehlt hätten oder dass man noch mehr Zeit für die Diskussion in der Kleingruppe gehabt hätte. Somit plante ich die synchronen Treffen fortan um längere gemeinsame Phasen herum, was ich auch für das WiSe beibehalten werde. Dazu kommt etwas, dass ich erst kürzlich als Teilnehmerin in zwei Online-Events erlebt habe und auch in die Lehre mit integrieren werde: die Funktion zufällige 1:1 Treffen herzustellen und ihnen einen kleinen Impuls für den Spontanaustausch mitzugeben – das funktioniert mit 10 aber auch mit 200 TN. Allein 5 min reichen und man hat jemanden ein wenig mehr kennen gelernt, den oder die man sonst vielleicht nie getroffen hätte.
Hinzu kam, dass ich mit den Teilnehmenden regelmäßig auch auf Metaebene über vor allem die erlebte synchrone Sitzung reflektiert habe – auch im Sinne der Meta-Reflexion der Gegenstände wie Mediendidaktik oder Medienbildung. So hatten wir auch die Absprache, dass ich bewusst in jedem Treffen versuchte 1-2 neue oder anders eingesetzte Werkzeuge zu integrieren und so bereits in der Praxis mediendidaktische Einsatzmöglichkeiten erlebbar machte. Das hatte dann den Preis, dass wir durchweg 5 min mehr einplanen mussten, weil jedes Mal der Raum da sein musste, kurz in ein neues Werkzeug einzuführen oder nach zu justieren, falls es doch hakte.
Kollaborationsräume eröffnen
Für die gemeinsame Vertiefung von Themenfeldern aus der Mediendidaktik und Medienbildungsforschung (von Grundbegriffen über Themen der Mikro-, Meso- und Makroebene wie Perspektive auf neuere Entwicklungen und Wandel) habe ich so versucht, Werkzeuge zu finden, die eine möglichst datensparsame und möglichst offene gemeinsame Bearbeitung von Themen möglich machten. Hier fand ich es sehr hilfreich vor allem über Twitter (#Coronacampus #twitterlehrerzimmer #twlz etc. sowie #newwork #agile) die zahlreichen gemachten Erfahrungen und den Austausch über Funktionierendes zu lesen. Und so habe ich nach vielem Ausprobieren und Testen bis auf Weiteres gut und didaktisch sinnvoll einsetzbare – mitunter fast schon klassische – Lösungen gefunden. So war ich in der Lage, kollaboratives Schreiben (Etherpad), kollaborative Dokumentation und Diskussion (Padlet) sowie kollaboratives Brainstorming und Arbeit mit Post-its am virtuellen Whiteboard (conceptboard) synchron und stellenweise auch asynchron anzubieten. Besonders gewinnbringend war nach erfolgter Einführung die Einbindung von kollaborativen Werkzeugen in Kombination mit Breakoutrooms. Doch das funktioniert nur, wenn auch alle Teilnehmenden mit einem hinreichend großen Monitor zugeschaltet sind – und damit zeigt sich hier bereits, wie eng didaktische und technische Entscheidungen mit Zugang, Ausstattung, Diversität und Chancengerechtigkeit gekoppelt gehören.
Kombination statt Addition
Mit Blick auf den Anspruch das #Coronasemester für jede und jeden studierbar zu machen in den von mir verantworteten Modulen und keinen Nachteil entstehen zu lassen, entschied ich mich von der klassischen Struktur der Kombination von synchronen und asynchronen Phasen abzuweichen und eine Addition vorzunehmen. Das heißt, den verpflichtenden Teil der Lehrveranstaltungen auf den asynchronen Teil zu beschränken und optionale synchrone Termine als optionales Ad-On zu planen. So sollten diejenigen, die die asynchrone Option wählten keine Nachteile haben und die, die sich für die zusätzlichen synchronen Termine entschieden ebenfalls keine Nachteile durch zeitlich mehr Veranstaltungen. Um es kurz zu machen: in der Konzeption klang es noch gut und in der Praxis war es nicht konsequent umsetzbar – ja, es stellte sich bei mir auch ein Gefühl des Verzettelns ein. Denn die synchronen Termine brauchten auch eine gewisse Vorbereitung, um fachlich tiefer einzusteigen, doch diese Vorbereitung war auch für die asynchronen Aufgaben nötig, allerdings brauchten synchrone Treffen längere Zeiten als eine schriftliche Ausarbeitung …. usf. Zu guter Letzt haben auch die meisten die synchronen Termine möglichst versucht komplett einzurichten, weil sie den Wert in der sozialen Interaktion und dem Austausch sahen sowie synchrone Termine als wichtige strukturierende Elemente für sich eingebaut hatten. Auf Grund dieser Zwischenrückmeldung fing ich auch an, je thematischer Phase zusätzlich asynchrone Mini-Advanced-Organizer als kurzen Film von 3 bis 4 min zu jeder Phase einzustellen (via loom) um die Informationen, die ich im synchronen Meeting am Schluss gab, nicht nur kurz schriftlich im LMS sondern auch per Video bzw. Screencast zur Verfügung zu stellen – eine Idee, die ich in jedem Fall mit in das WiSe nehmen werde.
Planung Wintersemester
Für den Studiengang ist bereits entschieden, dass wir im WiSe ebenso komplett auf Fernlehre umstellen bzw. den Modus des SoSe20 beibehalten werden. Das ermöglicht nun eine längere Vorausplanung. Und ich nehme sehr viel mit aus diesem auch für mich Lernsemester. Für die Lehre vor allem, dass die bewährte Kombination von asynchronen und synchronen Elementen für diese Zielgruppe Studierender am besten passt und auch in der Struktur Klarheit der Optionenvielfalt in diesem Fall vorzuziehen ist; es Sinn macht, noch stärker mit bedarfsorientierten Mini-Videos zum Überblick für Organisation und Inhalte zu arbeiten sowie die vielen Wahlfreiheiten für eigene Themen innerhalb der vertiefenden Aufgaben beizubehalten. Auch kann ich auf ein für den Moment gut funktionierendes Repertoire an Kollobarations- oder Austauschwerkzeugen zurückgreifen sowie mit sessionlab ein für mich sehr gut passendes Werkzeug zur Planung von Workshops und Lernszenarien. Mit dieser Benchmark im Hinterkopf bzw. Werkzeugkoffer kann ich nun weiter durch das Netz schauen, ob sich bessere und auch offenere Alternativen finden lassen.
Lernendenorientierung
Was ich insbesondere mitnehme ist, dass das was bisher zumeist aus didaktischer Sicht unter Lernendenorientierung gefasst wird, ebenso deutlich um eine serviceorientierte, wenn man es so nennen möchte, lernendenorientierte Perspektive zu erweitern ist, damit die Lernumgebung für alle passt – und das beginnt schon mit der gemeinsamen Abstimmung des räumlichen und zeitlichen Rahmens sowie die immer wiederkehrende Thematisierung des gemeinsamen Rahmens und wie die gemeinsame Lernveranstaltung hier (trotzdem) passt. So beginnt bereits die virtuelle Beziehungsarbeit.
Kreativität und Offenheit
Und mit diesem längeren Ausführungen möchte ich exemplarisch aufzeigen, dass die Idee und Formate partizipativer Lehre – wenngleich die Intensität und Vielfalt an Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten in Präsenzsituationen übereinstimmend von den Studierenden und mir bis jetzt als eher höher und ganzheitlicher empfunden wird – grundsätzlich auch unter diesen Rahmenbedingungen realisierbar sind. Es wurde für mich deutlich, dass sich Formate und Lehr- und Lernmethoden nicht wegen des genutzten Mediums zurückentwickeln müssen – vielmehr braucht es zumeist an einigen Stellen lediglich eine sinnvolle Adaption oder Äquivalenz bereits verwendeter Tools und Methoden – und didaktische Kreativität und Offenheit auf Seiten der Lehrenden wie Lernenden für neue partizipative Online-Formate.